Die Stimmung am Esstisch war verhalten. Meine Kunden – ein Ehepaar um die 70 – hatten mich nicht beauftragt. Es waren ihre drei Kinder gewesen, die mich um Hilfe gebeten hatten. Sie machten sich Sorgen um ihre Eltern. “Wir glauben, dass unsere Eltern total unter ihrer Unordnung leiden. Aber von uns lassen sie sich nicht helfen. Und außerden haben wir auch nicht die Zeit dafür.” Ich schlug einen gemeinsamen Termin vor, bei dem wir einen Zeitplan erstellen würden und die Eltern mich einfach mal kennenlernen könnten. Ausmisten im Alter ist ein präsentes Thema. Ich weiß, dass das viel Skepsis im Spiel ist. Es dauerte dann noch fünf Wochen, bis die Kinder ihre Eltern überzeugt hatten.
So. Und nun saßen wir im Wohnzimmer. Nach dem ersten Augenschein konnte ich die Kinder gut verstehen. Das ganze Haus war eine Biographie in Gegenständen. Nicht nur der Eltern, sondern auch der drei Kinder. Meine Vermutung war, dass hier noch nie auch nur ein einziges Stück aussortiert worden war. In den Anfängen sahen – ich nenne sie hier mal Herr und Frau Stocker – keinen Anlass dazu. Das Haus war groß, es gab genügend Platz. Über die Jahre füllte sich der natürlich und irgendwann gab es diesen Point of no Return. Ab hier schien allen die Aufgabe monumental. Nicht zu schaffen. So wuchsen die Flächen zu, die Schränke wurden voller und voller. Und wenn es gar nicht mehr ging, dann wurden in einer Hausruck-Aktion Kisten gefüllt und auf den Dachboden gebracht.
Der Sohn hatte mir im Telefongespräch anvertraut, dass er und seine Geschwister sich schon richtig davor fürchteten, wenn sie den Haushalt würden auflösen müssen. Entweder, weil ihre Eltern in eine Altersheim ziehen würden oder spätestens bei ihrem Tod. Aber sie wussten nicht, wie sie dieses sensible Thema ansprechen sollten. Wer redet schon gerne mit den Eltern über deren Tod? Also übernahm ich diese Aufgabe. Auch für mich ist das unangenehm. Aber meine professionelle Rolle macht es möglich, auch unangenehme Wahrheiten neutral anzusprechen. Ich hatte diese Aufgabe nicht zum ersten Mal übernommen und war deshalb optimistisch.
Was ist zu tun? Ausmisten im Alter mit System
Ich täuschte mich nicht. Herr und Frau Stocker waren nicht nur sehr betroffen, sie hatten sich auch schon dieselben Gedanken gemacht. Die Erleichterung bei allen war greifbar: der rosa Elefant war benannt. Nun konnten wir überlegen, wie wir mit ihm umgehen.
Als erstes klärten wir folgende Punkte:
- Was wird das Ziel sein
- Welche Schritte werden nötig sein
- Zeitrahmen und genauer Zeitplan
- Verantwortlichkeiten
- eventuell zusätzliche notwendige Dienste
Ausmisten im Alter mit konkretem Ziel
Sich auf den Tod vorbereiten ist natürlich kein motivierendes Ziel. Also überlegten wir, was Herr und Frau Stocker von einem aufgeräumten und befreiten Haus haben würden. Es fiel ihnen eine ganze Menge ein.
- weniger Arbeit
- mehr Bewegungsfreiheit (Herr Stocker war erst letztens über eine Kiste gestolpert und hatte ziemlich Glück gehabt, dass nichts Schlimmes passiert war)
- weniger Streit – nicht nur zwischen Eltern und Kindern, sondern auch zwischen den beiden selbst
- Platz für Frau Stockers Hobby – das Nähen
- Platz, wenn die Enkelkinder zu Besuch oder zum Übernachten kämen
- endlich wieder Lust, Gäste einzuladen. Wenn das Gästezimmer fertig wäre, könnten sogar Freunde bei ihnen übernachten
Die Stockers hatten noch Pläne! Das fand ich wunderschön. Ich drückte beiden meine Übungen in die Hand. Die Hausaufgabe bis zum nächsten Mal: sie sollten ihren Leuchtturm finden. Jeder und jede für sich, aber auch als Paar.
Wer die Schritte kennt, sieht auch den Weg
“Sie werden in den nächsten Monaten nachholen, was in der Vergangenheit liegen geblieben ist. Das heißt im ersten Schritt: Aussortieren. Rückschau halten. Die Spreu vom Weizen trennen mit Blick auf die Gegenwart und die unmittelbare Zukunft.” Ja, auch das ist eine unangenehme Wahrheit: wenn über Jahre oder sogar Jahrzehnte nicht ausgemistet wurde, ist es eben nötig, das Ausmisten im Alter nachzuholen. Eine kleine Aufgabe ist das nie. Es ist wichtig sich das klar zu machen.
Nach dem Ausmisten und auch schon währenddessen, würden wir die bestehenden Strukturen vereinfachen und an die Situation anpassen.
- Wie sollten die Schränke eingerichtet sein, damit das Ausräumen
- Was sollte in welchem Stockwerk aufgehoben werden, damit keine unnötigen Wege zu machen sind
- Schweres Heben und viel Bücken sollte im Alltag vermieden werden
- welche Arbeitsabläufe können erleichtert werden
Zum Schluss würden wir besprechen, welche Routinen ich für den Erhalt der Ordnung empfehle.
Als nächstes machten wir uns an den Zeitplan.
Das Ende in Sicht mit einem genauen Zeitplan
Jedem am Esstisch war klar, dass die vor uns liegenden Aufgaben einen langen Atem brauchen würden. Ich wollte den Stockers ein realistisches Ziel geben. Also rechneten wir aus, wie lange sie brauchen würden, bis alle Räume einmal durchforstet wären. Weil das Ehepaar nicht nur engagierten Großeltern, sondern auch gerne unterwegs sind, planten wir großzügig: in eineinhalb Jahren würde es machbar sein, ohne dass das Ehepaar für ihr Projekt ihr Leben auf Eis legen muss.
Als nächstes planten wir die nächsten 6 Wochen.
- an welchen Tagen würden sie wieviel arbeiten
- was genau würden sie an den einzelnen Tagen tun
- wohin würden sie die aussortieren Dinge bringen
Das Ehepaar war zwar fest entschlossen, aber doch auch verzagt. Wie gut würde ihnen das Aussortieren gelingen? “Wenn wir mit dem Plan fertig sind, haben wir ja noch einige Stunden Zeit. Wir beginnen gleich und ich zeige Ihnen, wie Sie mit Ihren Bedenken umgehen können. Sie bekommen für jede einzelne Ausrede das richtige Werkzeug von mir.” Überzeugt hatte ich sie nicht. Aber das war auch nicht zu erwarten. Erst in der Praxis würden sich meine Tipps bewähren können.
Verantwortlichkeiten
Eine Sache erlebe ich immer wieder mit Kundinnen (ja – immer Frauen) in der Großelternphase: sie sind sehr eingespannt mit der Betreuung der Enkelkinder. Sie stehen auf Abruf bereit, lassen alles stehen und liegen, verschieben Termine und werfen ihre ganze Tagesplanung über den Haufen.
Auch das Ehepaar Stocker hatte Enkelkinder: 5 Stück.
Auch Frau Stocker war an mehreren Tagen in der Woche fix für die Kinderbetreuung eingeplant.
Ich setzte also wieder meinen “unangenehme Wahrheiten” Gesichtsausdruck auf. Die Kinder müssten jetzt auch Abstriche machen. Wenn sie woltlen, dass ihre Eltern vorankämen, müssten sie sich auch am Wochenplan orientieren. Sie bräuchten für Notfälle auch noch andere Optionen, außer der Oma. “Sind Sie dazu bereit? Damit würden Sie Ihre Eltern wirklich unterstützen. Ihre Eltern werden immer lieber auf die Enkel aufpassen, als auszumisten. Deshalb werden sie immer ‘ja’ sagen, wenn Sie sie fragen. Es ist wirklich wichtig, dass Sie die Pläne Ihrer Eltern ernst nehmen.” Damit hatten sie nicht gerechnet. Nach einer kurzen Irritation nickten alle drei. Aber ich war noch nicht fertig. “Welche Aufgaben können Sie übernehmen, um Ihren Eltern unter die Arme zu greifen? Vielleicht am Wochenende die Spenden wegbringen, oder auf den Mistplatz fahren? Die eigenen Sachen, die Sie hier noch lagern ausmisten?” Ich glaube in diesem Moment fragten sich alle drei, warum um alles in der Welt sie mich bloß angerufen hatten. Sooooo schlimm war’s doch eigentlich gar nicht, oder?
Naja. Zu spät.
Also überlegten wir, wer was übernehmen würde und planten auch gleich fixe Zeitpunkte.
Jetzt war es Zeit die Familie etwas aufzumuntern. “Sie machen das jetzt für die nächsten 6 Wochen. Wenn Sie danach befinden, dass die ganze Unternehmung den Aufwand nicht wert ist, können Sie sofort aufhören. Aber diese 6 Wochen empfehle ich dringend, sich an den Plan zu halten. Ich verspreche Ihnen: Sie werden erstaunt sein, was sich in der Zeit verändert haben wird.”
Welche Dienste sind noch notwendig
Zum Schluss überlegten wir, ob es vielleicht sinnvoll ist, mal ein Transportunternehmen zu beauftragen. Das könnte an einem Nachmittag alle aussortierten Dinge an die entsprechenden Ort bringen. Eventuell würde man jemanden brauchen, der die Antiquitäten schätzt. Alles Weitere würde sich finden.
Ausmisten im Alter – es lohnt sich immer
Damit die beiden bis zu meinem nächsten Besuch ihre Zwischenziele erreichen, gingen wir es gleich konkret an. In den folgenden Stunden stießen wir auf alle möglichen Bedenken. Von “das kann man nochmal brauchen” über “das habe ich noch gar nicht verwendet” zu “da hängen Erinnerungen dran” war so ziemlich alles dabei. Nach 5 Stunden war ich sicher: sie hatten – zumindest in der Theorie – eine gute Werkzeugkiste. Jetzt bräuchten sie noch Praxis bei der Verwendung.
Wie es in 6 Wochen aussieht? Ich werde berichten.
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