
Letzte Woche war ein Journalist bei uns zuhause. Ich durfte eine Stunde über meine Arbeit erzählen. Und natürlich kamen wir auch auf sein eigenes Zuhause zu sprechen. Er habe über 1000 Bücher. Die könne er unmöglich ausmisten. Bücher ausmisten geht einfach gar nicht.
Ich finde es inzwischen völlig normal, Bücher auszumisten. Das war nicht immer so – aber dazu komme ich noch.
Eher öfter als nicht, klingt der Satz “Die kann man doch unmöglich ausmisten” gar nicht sooo überzeugt. Meist schwingt da die Frage mit “wie könnte man es denn angehen?”
Warum Bücher ausmisten so ein Tabu sind, darüber habe ich mir wirklich viele Gedanken gemacht. Vor allem, weil ich selbst ja auch jahrelang dachte, das ist absolut unmöglich. Aber wie bei allem:
Unmöglich sind die Dinge solange, bis wir sie einfach tun
3 Gründe, warum Bücher ausmisten unmöglich ist
Also: warum sind Bücher denn in unserer Vorstellung so unantastbar? In meinem Fall war es Statusdenken. Bildungsstatus. Je mehr Bücher man zuhause stehen hat, desto belesener ist man. Dieses Bild habe ich also vor mir selbst hergetragen und natürlich auch unseren BesucherInnen präsentieren können: “Seht her, ich verbringe meine Zeit sinnvoll mit Lesen.”
Als mir das über mich selbst klar geworden ist, fand ich das eigentlich recht armselig. Ich muss doch niemandem beweisen, wie viel ich gelesen habe – nicht mal mir selbst.
Bücher formen uns. Unsere Ideen, Gedanken und können sogar unser Verhalten beeinflussen. Da liegt auch der zweite Grund, für die Hemmung beim Ausmisten: geben wir Bücher weg, haben wir das Gefühl, einen Teil unserer Person zu verlieren. Wenn wir mal genau drüber nachdenken, können wir eigentlich nur zu einem Schluss kommen: das ist schlicht nicht möglich.
Ich z.B. borge inzwischen Bücher nur noch aus. Auch ausgeborgten Bücher können mich genauso beeindrucken und beeinflussen. Es ist sogar so, dass ich manche Bücherei-Bücher viel stärker in meinen Gedanken herumtrage, als das was bei uns zuhause steht.
Übrigens mag ich es überhaupt nicht, Second Hand Bücher zu kaufen. Ich fühle mich unwohl, weil ich nicht weiß, welches Karma ich mir ins Haus hole. Bei Büchern aus der Bücherei – kein Problem. Die gebe ich ja wieder zurück.
Kommt jetzt noch Grund Nummer drei: man möchte mal wieder reinlesen, oder was nachschlagen. Selbst wenn dieser unwahrscheinlich Fall eintritt – lohnt es sich dafür wirklich alle Bücher aufzuheben, die man mal gelesen hat. Aus praktischer Sicht sollten Bücher eigentlich beim Ausmisten als Erstes dran sein. Sie sind ja keine Gebrauchsgegenstände, sondern im Grunde Verbrauchsgegenstände: einmal gelesen und das wars. In 99% der Fälle. Dafür dürfen sie aber sehr viel Platz beanspruchen. Bücher führen ein Luxusleben!
Den Satz “ich möchte vielleicht mal wieder reinschauen” hat mir gegenüber noch nie jemand geäußert, ohne gleichzeitig über sich selbst zu schmunzeln. Ertappt bei einer Ausrede.
Bücher ausmisten ohne Reue – meine Lösung
Also – wie habe ich einen Weg gefunden, mich von Büchern zu trennen, mich dabei gut zu fühlen und keinen Funken Reue zu empfinden?
Angefangen hat es mit der Erkenntnis, dass ja nicht nur der Inhalt von Regalen ausgemistet werden kann, sondern ganze Regale. Vor allem, wenn man danach richtig Platz gewinnen würde. Ich weiß schon, das ist ziemlich radikal und ich würde es meinen Kunden und Kundinnen auch nie empfehlen. Aber ich hatte plötzlich richtig Freude bei dem Gedanken, eine Wand frei zu bekommen und die Wohnung zu lichten.
Ziel: 300 Bücher und Abschied von alten Vorstellungen
In Frage standen zwei Bücherregale, jeweils 2,20 m hoch und 80 cm breit – es ging also ungefähr um 300 Bücher.
Als ich meinen Mann von meinem Vorhaben erzählte, hab ich mit großem Widerstand gerechnet. Aber offenbar habe ich die richtigen Worte gefunden und er war gleich bereit mitzumachen. Nicht ganz ohne Bauchschmerzen, was ja auch verständlich ist.
Schwer motiviert habe ich gleich am nächsten Tag losgelegt, meinen Teil zu erledigen. Den Anfang hat das Regal mit dem Brockhaus gemacht. Das war nun auch für mich nicht einfach, denn das war das Geschenk meiner Eltern zum Uniabschluss. Jahrelang stand er repräsentativ im Regal – ein Utensil, dass in jeden Haushalt gehört – mit dieser Vorstellung war ich aufgewachsen und als Kind habe ich auch tatsächlich Stunden damit verbracht, in den dicken Bänden zu blättern. In den fast 20 Jahren, in den ich meine Ausgabe besessen habe, habe ich vielleicht 100 mal nach Informationen darin gesucht.
Ein klarer Fall also von Platzräuber. Mit den 15 Bänden habe ich mich nicht nur von einer Vorstellung verabschiedet, sondern auch vom Symbol zu einer Erinnerung: der Erinnerung daran, dass ich ein Studium abgeschlossen habe und meine Eltern damit sehr stolz gemacht habe. Das aber ist über 20 Jahre her. Will ich mich wirklich noch so stark darüber identifizieren? Inzwischen sind soviele andere Dinge passiert, die mein Leben prägen und mein Studium sollte also nicht mehr soviel Platz in unserer gemeinsamen Wohnung einnehmen. Außerdem ist die Erinnerung nicht an den Brockhaus gekettet – sie wird mir bleiben, auch wenn der Brockhaus geht. „Es wird ein guter Tausch“, habe ich mir gesagt, „es wird Platz für etwas, dass JETZT in meinem Leben, im Leben meiner Familie wichtig ist“.
Die Bücher müssen sich ein paar Fragen gefallen lassen
Banale Bücher ohne Eindruck
Was danach kam, war viel einfacher. Ich hatte ein klares Ziel: eines der beiden Regale soll leer werden. Ich jeden Titel in Augenschein genommen. Diesmal aber etwas genauer: wusste ich nicht mehr, worum es in dem Buch ging, habe ich die Inhaltsangabe gelesen und wenn ich selbst dann keine Ahnung hatte, wovon das Buch handelte, kam es in eine Bananenkiste. Offenbar hatte es überhaupt keinen Eindruck bei mir hinterlassen, also gab es auch keinen Grund es zu behalten.
Romane die mich runterziehen
Während ich meine Bestände so durchging, fiel mir auf, wie viele Geschichten ich gelesen habe, in denen Kinder entführt, getötet oder mißhandelt werden. Seit ich selbst Kinder habe, lese ich derartige Bücher nicht mehr – ich halte es einfach nicht aus. Also war auch hier die Entscheidung klar: diese Bücher will ich nicht mehr in unserer Wohnung haben.
Romane aus einer anderen Ära
Dann gab es die Bücher, an die ich mich zwar noch erinnern konnte und die mir auch gefallen hatten, die aber zu einem längst vergangenen Lebensabschnitt gehören: Betty Blue von Phillip Djian ist zum Beispiel so ein Buch. Das habe ich mit 18 gelesen. Damals hat es mich schwer beeindruckt und ich habe im Anschluss fast alles von Djian gelesen. Aber sollte er deshalb noch hier stehen? Ich fand nein und damit wanderte er in die Bananenkiste.
Anders als meine John Irving Sammlung. Auch die gehört zu einem anderen Lebensabschnitt und seine letzten Bücher haben mir ganz und gar nicht gefallen. Ich hebe sie aber auf, weil ich denke, dass meine Kinder damit vielleicht genauso in einen Lesesog finden wie ich damals. Aber es muss nicht das ganze Werk sein – es reichen die besten vier Romane: “Garp”, “Gottes Werk und Teufels Beitrag”, “Das Hotel New Hampshire” (spielt ja auch in Wien) und “Owen Meany” (das ich auf einer Zugfahrt von Rom eingesaugt habe).
Alles, womit ich mich selbst belüge
In den unteren Regalen versammelten sich meine Bildbände: Reisebildbände, Ausstellungskataloge und Museumskataloge. Dick, schwer und schön anzusehen. Und natürlich ein Beweis, dass ich mal in Ausstellungen war…Kaum eines dieser Werke habe ich nach dem Kauf mehr als fünfmal in der Hand gehabt. Warum also aufheben? Weil sie mich daran erinnern, dass ich mal in St. Petersburg war? Weil sie mein kurz aufflackerndes Interesse für El Greco dokumentieren (so kurz, dass man von Interesse gar nicht sprechen darf)? Weil sie eines der ersten „Erwachsenengeschenke“ meiner Schwestern waren, wie das Fotobuch über Marilyn Monroe?
Am Ende hatte ich drei Bananenkisten gefüllt. Weil ich meine Hausgemeinschaft nicht überfordern wollte, brachte ich nur eine davon in unseren Eingang. Meine Nachbarn erwiesen sich als sehr dankbare und zuverlässige Abnehmer. Nach zwei Tagen waren die Bücher weg. Die anderen beiden Kisten habe ich nach und nach in offene Bücherschränke in unserer Nähe gebracht.
Eine wirklich umfängliche Liste offener Bücherschränke für Deutschland gibt es hier.
Meine Bücher gehen auf Reisen
Als ich ein paar Wochen später meiner 80-jährigen Nachbarin davon erzählte, wie ich das mit dem Bücher ausmisten mache, meinte sie „Ach, dann ist der Ringelnatz wohl auch von Dir? Den hab ich mir genommen.“ Und eine andere Nachbarin hat gleich mehrfach zugeschlagen – als ich sie letztens in ihrer Wohnung besucht habe, habe ich dort mehrere „meiner“ Bücher entdeckt. Ein schöner Gedanke, dass meine Bücher in den verschiedenen Wohnungen unseres Hauses stehen und vielleicht gerade gelesen werden.
Und was habe ich jetzt fürs Bücher ausmisten bekommen? Nicht nur mehr Platz, sondern auch das Wissen, dass mich jetzt – fast – nur noch Bücher begleiten, die ich wirklich schätze, die mich beeindruckt und positiv beeinflusst haben. Die mich in meinem Denken und Handeln geprägt haben. Aber weil ich mich ja weiter entwickle, sind auch diese Bücher vielleicht irgendwann mal reif für den Bücherschrank.
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Ich bevorzuge ja den Begriff “Bestandsaufnahme” statt Ausmisten. Wenn Sie wissen möchten, was für mich der Unterschied ist und wie Sie die für sich richtigen Entscheidungen treffen können, dann schauen Sie doch in meinen kompakten Ratgeber “Die drei Säulen der Ordnung”.
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